Folge 10 | 11. Mai 2021 | 52 Minuten

Wie führt man eigentlich anders als man selber gewohnt war?

In unserer heutigen Folge treffen wir Juliane Saupe. Juliane ist Chemie-Ingenieurin aus Leidenschaft und arbeitet als Standortleiterin in einem Chemiekonzern. Sie ist verantwortlich für ca. 300 Mitarbeitende. 

Aus der Produktion kommend, hat sie vor einigen Jahren in den operativen Bereich gewechselt. Heute setzt sich ihr Arbeitsalltag aus vielen Meetings zusammen, in denen Produktionsplanung, Instandhaltung, Marketing usw. auf der Agenda stehen. Ihre eigentliche Arbeit hat heute weniger mit der Arbeit in der Fabrik zu tun.

Manchmal ärgert es sie, dass sie so einen intensiven Bürojob hat und so weit weg von der eigentlichen Produktion und den Mitarbeitenden ist. Schließlich ist es ihr wichtig, präsent und nahbar zu sein, sie möchte mitbekommen was ihre Mitarbeitenden umtreibt, wie es ihnen geht und wie es läuft. Dafür ist es ihr sehr wichtig Feedback von ihren Mitarbeitenden zu erhalten.

In ihrer früheren Position als Produktionsleiterin war sie nicht glücklich mit ihrer damaligen Führungskraft – die Art, wie sie geführt wurde, machte sie unzufrieden und entsprach nicht ihrer eigenen Haltung als Führungskraft. Heute ist daher ihr Leitsatz:

„Führe selber wie du geführt werden möchtest!“

Dabei sind für sie Verlässlichkeit, Wertschätzung und Ehrlichkeit die wichtigsten Attribute für eine Führungskraft. Sie möchte im Gespräch bleiben, sie möchte, dass ihre Mitarbeitenden zufrieden sind, achtet auf face-to-face-Gespräche und dass sie umsetzt, was sie verspricht. Sie reflektiert sich regelmäßig im Gespräch mit KollegInnen auf gleicher Ebene, bespricht Anliegen und Konflikte. Den Tipp dazu hat sie von ihrem ehemaligen Coach bekommen. 

Für Juliane ist das Grundlage ihrer Arbeit. Sie hat festgestellt, dass die Führungsposition immer einsamer wird, je höher man kommt und man jemanden braucht, mit dem man sich austauschen und reflektieren kann.

Im Training und Coaching wurde sie auch darin bestärkt, auf ihr Bauchgefühl zu hören und handelt nach einem Tipp, den ihr langjährige Führungskräfte gegeben haben: Bleib so wie du bist! 

Im letzten Jahr hat sie nochmal einen Coachingprozess durchlaufen und dabei in vielen Rollenspielen u.a. gelernt, wie sie selbst tickt und welche ihrer Anteile ihre eigene Handlung beeinflussen. Für Juliane war diese Erkenntnis sehr wichtig. Sie wollte wissen, was sie für ein Typ ist.

„Ich kann nur mich selbst ändern, um an den Mitarbeitenden ranzukommen!“

In schwierigen Situationen, wie wirtschaftlichen Entscheidungen, versucht Juliane transparent zu erklären, warum Dinge geschehen, wie sie geschehen. Sie versucht ihre Mitarbeitenden mitzunehmen und zur Kooperation zu motivieren. Dabei gibt es natürlich auch Entscheidungen, bei denen sie nicht immer auf Verständnis trifft. Juliane sagt von sich, dass sie das mittlerweile gut aushalten kann, wenn sie selbst weiß, warum Entscheidungen getroffen werden müssen.

Anders geht es ihr damit, wenn sie Feedback von Mitarbeitenden bekommt, über dass sie erstmal nachdenken muss, z.B. wenn Mitarbeitende zurückmelden, dass die Aufgaben, die sie übertragen bekommen haben, zu viele sind. Über dieses Feedback schläft sie schon auch mal eine Nacht und reflektiert, wie nah sie tatsächlich dran ist, um mitzubekommen, ob ihr Team überlastet ist oder nicht. In solchen Momenten macht Juliane ihre Bürotür auch mal zu und zieht sich zum Nachdenken zurück. In genannter Situation erarbeitete sie in dieser Reflexionsphase z.B. ein Konzept für ihr Team, wie zukünftig mit der Arbeitsbelastung umgegangen werden kann. Sie hat mithilfe eines Kanban-Boards (erledigte) Aufgaben sichtbar gemacht, in dem Mitarbeitenden mitteilen können, welche Aufgaben sie täglich bewältigen. Auf diese Weise werden Arbeitsprozesse transparent gemacht und erledigte Aufgaben sind so für Mitarbeitende sichtbar festgehalten, mit dem Ziel, dass Mitarbeitende nicht nur die tägliche Belastung sehen, sondern auch, was sie alles schaffen. 

„…auch mal selber den Blaumann anzuziehen!“

Juliane versucht immer wieder eine Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Bedürfnisorientierung zu wahren, dabei auch mal in ihrer Rolle zurückzutreten und andere nach vorn zu lassen. Sie genießt es, dass sie in Arbeitsgruppen auch mal ein Teammitglied ist, in gemeinsamen Aktionen selbst den Blaumann überzieht und so auch mal keine Führungskraft ist. So gelingt es ihr noch einmal mehr, die Perspektive ihrer Mitarbeitenden einzunehmen. 

Julianes Erkenntnis der letzten Jahre ist es, dass Führungskräfte Struktur vorgeben müssen – wo geht es eigentlich lang? Struktur gebe Sicherheit und dient dazu, Mitarbeitende zu bestärken, Dinge selbst anzupacken und Verantwortung zu übernehmen.

„Was ich immer versuche, ist so zu führen, dass ich auch mal nicht da sein kann!“

Ersetzbar kann Juliane nur sein, weil sie ihre Mitarbeitenden dahin motiviert hat, selbst Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Juliane sagt, es habe sie anfangs viel Kraft und Energie gekostet, den Mitarbeitenden zu zeigen, wie sie Aufgaben umsetzen können, aber die Investition zahlt sich heute darin aus, dass sie entspannt(er) in den Urlaub fahren kann. 

Juliane sagt, ein Team zu führen sei wie Kinder groß zu ziehen: Am Anfang steckt man wahnsinnig viel Energie in die Erziehung und Begleitung der Kinder, um sie final in die Lage zu versetzen ihr Leben eigenständig führen zu können. Dafür sei neben der Energie und der intensiven Begleitung mindesten so wichtig loslassen zu können!

Wir bedanken uns bei Juliane für das inspirierende Gespräch und nehmen viele Impulse zum Thema Struktur und Loslassen mit!